#Tutorial: Poor Elise. Ein „Klassischer“ Blues

Hintergrund

Jeder Reise hat ihren Sound. Meistens in Form einer Playlist, die manche mit demselben Eifer aussuchen wie die Dinge für ihren Rucksack oder Koffer. Meine letzte Playlist bestand größtenteils aus „verjazzten“ oder „verbluesten“ Klassik-Stücken, was nicht verwundern darf. Schließlich ging die Reise von Wien, einem der wichtigsten Zentren der klassischen Epoche, nach Tamraght in Marokko im Norden Afrikas. Afrika, bekanntlich die Wiege der Blues und Jazzmusik! (Übrigens: nach Tamraght zieht es nicht nur Surfer, sondern auch Jimi-Hendrix-Fans. Er soll Ende der 60er dort einen längeren Urlaub verbracht haben).

Von den vielen Klassik-Jazz-Mixturen gefielen mir jene des Pianisten Jean Baptiste am meisten, 2024 veröffentlich auf dem Album „Beethoven Blues. Batiste Piano Series, Vol. 1“. Und nach einer relativ ernüchternden YT-Suche nach ebenbürtigen Gitarrenversionen, entschloss ich mich, selbst einen „Remix“ zu kreieren, konkret eine Blues-Interpretation Beethovens berühmten Klavierstücks „Für Elise„. Sie sollte 2 Funktionen erfüllen: erstens, sich dem Thema als würdig erweisen, und, zweitens, auch für meine Schüler und Schülerinnen von Nutzen sein.

Das Ergebnis möchte ich in diesem Blogbeitrag vorstellen. Poor Elise. In 3 Schwierigkeitsstufen. (Wer es eilig hat, kommt über diesen Link direkt zu den Videos und der PDF-Datei mit den Noten und der Tabulatur).


Poor Elise

Eine arme Dame zur Zeit Beethovens

Für Anfänger (Level 1)

Die erste Version darf trotz ihrer Einfachheit nicht unterschätzt werden. Das Tempo ist zwar langsam und die Daumenstimme wurde von der Fingerstimme getrennt, aber das Stück sollte – um es wirklich nach einem Blues klingen zu lassen und nicht bloß nach einem Begräbnismarsch – im Shuffle-Rhythmus gespielt werden. Schüler, die damit Probleme haben, sollen den Shuffle zuerst triolisch klatschen. Sobald sie dies beherrschen, die jeweils zweite Triole auslassen. In der Praxis öfter bewährt hat sich – offen gestanden – die einfache Ansage: „Lange Note“ – „Kurze Note“.

Schüler:innen, die damit Probleme haben, sollten den Shuffle zunächst triolisch klatschen. Sobald sie dies beherrschen, können sie die jeweils zweite Triole auslassen. In der Praxis hat sich – offen gestanden – oft die einfache Ansage bewährt: „Lange Note“ – „Kurze Note“.

Klatschen bei 1 und 3

Ein guter Ausgangspunkt ist die Beschäftigung mit den Akkorden des Stücks, da einige Melodietöne in den Akkordtönen von Am, E, C und G enthalten sind. Auch spieltechnisch ist diese Herangehensweise sinnvoll: Die Akkorde können wie Stämme sein, die man in den Boden rammt – Stützen auf dem Griffbrett.

Die Akkorde in Noten und Tabulatur-Form (= die Zahlen geben die Anzahl der Bünde an. Mit den Buchstaben links sind die Gitarrensaiten gemeint)

Apropos „Stämme“ und „Stützen“. Ob der Schüler eine gute Handhaltung hat, zeigt sich spätestens dann, wenn er sich an Akkorde probiert, konkret, wenn er die Bässe des C- und G-Dur-Akkordes anschlägt und – bei schlechter Haltung – die Melodiestimme der hohen Saiten „abwürgt“. Die Finger des Gitarristen sind Senkrechtstarter. Sie landen „von oben“ auf dem Griffbrett.

Gilt wahrscheinlich für alle Saiteninstrumente – es sollte unter den Fingern „Luft bleiben“ für einen Bleistift.

Noten, Tabulatur und Audiofile


Für Fortgeschrittene (Level 2)

Das kleinste Problem an der Version für Fortgeschrittene ist das um 10 BPM erhöhte Tempo. Der Schüler sollte sämtliche Legato-Techniken beherrschen (Pull-Offs, Hammer-Ons, Triller), Saiten ziehen können (Bending) – bestenfalls mit dem kleinen Finger –, Fingersätze auch in den höheren Lagen kennen, über Kenntnisse der Blues-Pentatonik verfügen und diese mindestens im ersten Pattern rauf- und runterspielen können – siehe Grafik

Bluespentatonik in Amoll (Pattern 1)

Absolut hilfreich ist es, vorab einen Blick auf Blues-Intros zu werfen. Typischerweise beginnen Blues-Stücke mit einer chromatischen Abfolge von Terzen oder Sexten – oder einer Kombination aus beidem, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Und so klingt der Blues für die höheren Semester. Enjoy!

Video: „Poor Elise“

Zum Abschlecken!

Bevor es ans Eingemachte geht, noch ein sehr wichtiger Hinweis: Selbstverständlich kann man auch den „Advanced Blues“ langsam spielen. In gemütlichem Tempo wird er dem Thema „Poor Elise“ vielleicht sogar gerechter als die eher flotte Variante im Video. Der Blues klingt dann so:

75 Bpm

Für Meister (Level 3)

Der fortgeschrittene unterscheidet sich von dem sehr fortgeschrittenen Gitarristen – nennen wir ihn in Ermangelung eines besseren Begriffs und etwas hochtrabend „Meister“ – in diesen vier Punkten: 1.) Perfektion. 2.) Dynamik 3.) Improvisation 4.) Technik. Gehen wir sie der Reihe nach durch!

1.) Perfektion: Eigentlich ist es ganz einfach – wer ein Stück perfekt spielen, muss es üben. Stundenlang, wochenlang, nicht selten monatelang. Hartnäckig von Note zu Note, Takt zu Takt bis zum Schlussstrich. Irgendwann wird er oder sie es „drauf haben“, zumindest hinter den eigenen vier Wänden. Denn um ein Stück auch vor Publikum fehlerfrei spielen zu können, braucht es mehr als nur den Willen zur Perfektion. Dafür braucht es auch gute Nerven. Das zitterfreie Spielen mit einer Öffentlichkeit vor der Nase, oder sei es nur vor einem Mikrofon oder einer Kamera, ist eine Aufgabe, an der ich auch selbst immer wieder meisterhaft scheitere.

2.) Dynamik: „Dynamik“ könnte man als den menschlichen Faktor in der Musik definieren – vor dem Hintergrund, dass Musik stark mit Mathematik und Physik verwoben ist. Dynamisches Spielen, also das Spiel mit dem Spielen – lauter, leiser, schneller, langsamer – ist meiner Erfahrung nach schwieriger zu lehren als Technik und Theorie. Viele Schüler verwechseln Langsamer werden (Ritardando) mit Langsam werden oder steigern gleichzeitig Lautstärke und Tempo, wenn sie eigentlich nur das Tempo anziehen sollten. Das alles ist nicht leicht umzusetzen, kann aber trainiert und verinnerlicht werden. Vom Himmel ist noch kein Meister gefallen.

> 3.) Improvisation: Skalen rauf- und runterspielen zu können, ist das eine – mit ihnen etwas Eigenes zu erschaffen, etwas ganz anderes. Viele Gitarristen beherrschen ihre Blues-Pentatonik virtuos in allen Lagen und Formen, scheitern aber trotzdem an einem überzeugenden Solo. Doch wann ist ein Solo gut? Dann, wenn es Halt macht zwischen den Gehörkanälen und nicht einfach hindurchrauscht – wenn es sich also einprägt. Und wenn es eine Emotion auslöst, wofür wiederum emotionales Spiel erforderlich ist. Ein gelungenes Solo ähnelt einer fesselnden Geschichte: Wer sie wie eine bloße Aneinanderreihung von Wörtern behandelt und in Höchstgeschwindigkeit herunterspult, macht sie dadurch nicht besser. Es ist der Inhalt, der den Hörer fesselt.

4.) Technik: Welcher Instrumentalist kennt es nicht? Das frustrierende Gefühl, trotz unermüdlichen Übens keinen Schritt weiterzukommen – bis man die Noten oder die Tabulatur am liebsten zerknüllen möchte. Meistens liegt das Problem in der zugrunde liegenden Technik. Die Arbeit an der Technik – auch im Sinne von Haltung verstanden – ist ebenso essenziell wie die Arbeit am Repertoire. Der Meister weiß das und investiert einen größeren Teil seiner Übungszeit in die Technik. Warum? Weil er dadurch weniger Zeit für sein Repertoire aufwenden muss. Schlau, oder?

Nach diesem kurzen Exkurs zur Frage, was dem Meister unterscheidet von dem Fortgeschrittenen, zurück zu unserer so lustig wie traurigen Interpretation Beethovens „Für Elise„. Ich habe für die Meister-Version versucht genau an diesen vier Schrauben zu drehen. (1) Mit circa 4 1/2 Minuten hat sie eine gesunde Länge und wer sie über die ganze Dauer fehlerfrei spielen möchte, hat ordentlich zu tun. (2) Es gibt dynamische Anweisungen en masse – „Crescendos“, „Decrescendos“, „Ritardandos“, „Staccatos“, „Fermati“ und, und, und. Wie gut ich sie umsetzen konnte bzw. wie passend sie an welcher Stelle zum Einsatz kamen, bleibt dem Urteil des Hörers überlassen. (3) Das Stück ist nach dem Schema A/B/A aufgebaut mit einem kleinen Intermezzo zwischen B und A. Im B-Teil, wenn es klassisch-bluesig wird, darf gerne improvisiert werden. Das moll-pentatonische Solo über die Akkorde Amoll und E7 ist nur ein Wegpfeiler. Wichtig ist hier, nicht aus dem Takt zu fallen, welchen der Daumen in Viertelnoten vorgibt. Die Kunst hinter der Kunst sozusagen. (4) Übung allein wird dich nicht weiterbringen, solange du dir im Vorfeld nicht die notwendigen Techniken aneignest. Z.B. den Rasgueado-Anschlag und schnelles Arpeggio-Spiel für das Intermezzo, linkshändiges Tapping, während die rechte Hand das „Schlagwerk“ übernimmt (im ersten und zweiten A-Teil) oder Bass-artiges Slapping, einhändiges Flagolett und Palmmute gegen Ende hin. Du packst das!

Und nun genug geredet – viel Spaß mit Mihas Meisterblues!


YT-Video


Transkription

Poor Elise. Ein „klassischer“ Blues

10-seitige Transkription in Noten- und Tabulaturform für Anfänger, Fortgeschrittene und Meister.

2,90 €


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